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Wir empfehlen, die/den Jugendliche(n) in einer kleinen überschaubaren Gruppe mit engen, klaren Strukturen, intensiver Betreuung und der Möglichkeit einer therapeutischen Behandlung unterzubringen.“ So oder so ähnlich endet die überwiegende Anzahl von Stellungnahmen zur stationären Unterbringung von Jugendlichen. Unter den ersten 50 Entwicklungsaufgaben des Jugendalters wird man jedoch vergeblich nach der Aufgabe „Du sollst die meiste Zeit des Tages mit einer erwachsenen Bezugsperson verbringen und all deine persönlichen Probleme mit ihr besprechen“ suchen. Ganz im Gegenteil belegen wissenschaftliche Untersuchungen zum Übergang vom Kind zum Jugendlichen, dass in dieser Übergangsphase die Distanz zwischen Jugendlichen und Erwachsenen wächst. Dies äußert sich im Rückgang der positiven Wahrnehmung von Eltern, im Rückgang des Wohlbefindens zu Hause, im Anstieg der Konflikte mit den Eltern, im Rückgang der Kommunikation mit den Eltern und im Rückgang der Wahl von Erwachsenen als Vertrauenspersonen. Die emotionale Distanz zwischen Eltern und Kindern scheint größer zu werden. Die Offenheit der Kinder ihren Eltern gegenüber sinkt besonders bei der Diskussion persönlicher Probleme. Diese Entwicklung ist bei Jugendlichen mit einem hohen Problemdruck, und mit solchen Jugendlichen haben wir es im Rahmen der stationären Jugendhilfe ausschließlich zu tun, besonders extrem ausgeprägt. Sie weisen im Gegensatz zu den niedrig belasteten Jugendlichen ein stärkeres Bedürfnis auf, ihren privaten Bereich zu schützen. Die Barrieren, von einem Erwachsenen Hilfe und Unterstützung anzunehmen, sind sehr hoch und wachsen mit zunehmendem Problemdruck. Hier macht sich ein gewisser Ausstrahlungseffekt der bei solchen Jugendlichen in der Regel gestörten Eltern-Kind Beziehung bemerkbar. Während Grundschulkinder in der Regel noch kein Problem erleben, wenn sie die Erziehungsabsichten eines Erwachsenen wahrnehmen, erklären Jugendliche immer mehr Bereiche als ihrer Entscheidung allein zugeordnet, Bereiche, in denen sie Erziehung nicht mehr akzeptieren. Diese Bereiche erstrecken sich bei Jugendlichen mit einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung auf fast die gesamte Lebensführung. Der oben beschriebene Ausstrahlungseffekt führt dazu, dass sie praktisch allen erwachsenen Bezugspersonen die Befugnis absprechen, erzieherisch auf sie einzuwirken. Obwohl sie mit der selbst gewählten eigenverantwortlichen Lebensführung in der Regel überfordert sind, erhebliche Nachteile und Rückschläge in ihrer Biographie erleiden, halten sie an dieser Entscheidung gegen alle Widerstände fest.

Im Rahmen der stationären Jugendhilfe werden diese Jugendlichen nun zunehmend in ein Setting gezwungen, in dem sie die überwiegende Zeit des Tages mit einer erwachsenen Bezugsperson verbringen müssen, die gleichzeitig ständig einen gewissen Enthüllungsdruck auf sie ausübt. Auf den Versuch, sich dem zu entziehen, wird mit erhöhter Betreuungsintensität reagiert. Der explosive Ausbau von Intensivgruppen und Einzelbetreuungsmaßnahmen bis hin zur aktuellen Diskussion über die geschlossene Unterbringung belegen dies sehr deutlich. Aber auch dies belegen Untersuchungen: ein ständiges mehr von Demselben ist wenig Erfolg versprechend.

Das Jugendheim Phantasien sieht sich in seinem Selbstverständnis als Gegenpol zu dieser Entwicklung. Wir geben die Verantwortung für ihre Entwicklung den Jugendlichen zurück. Hierbei orientieren wir uns an gefestigten Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie, die die Loslösung von den Eltern oder den erwachsenen Bezugspersonen als eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben des Jugendalters bezeichnet. Diese Abgrenzung von den Eltern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen ist ein wichtiger Schritt zur Unabhängigkeit und Eigenständigkeit. Die Unabhängigkeit von den Erwachsenen läuft als ein sich allmählich vollziehender Prozess; sie hilft dem Jugendlichen, sich für sein Handeln selbst verantwortlich zu fühlen. Hierdurch wird eine entscheidende Grundlage dafür geschaffen, Selbstsicherheit und Selbstvertrauen zu entwickeln. Der Jugendliche, der sich wenigstens in einigen Bereichen von seiner Familie unabhängig machen kann, wird in der Lage sein, für sein Handeln Verantwortung zu übernehmen, was in der Regel dann erst eigenständiges Handeln ermöglicht. Eigenständigkeit setzt also Unabhängigkeit voraus. Eine solche Vorgehensweise, die dem Jugendlichen die Verantwortung für seine eigene Entwicklung zurückgibt, beinhaltet natürlich auch das Risiko des Scheiterns. Gleichzeitig erfordert sie von uns, dass wir über einen individuell sehr unterschiedlichen Zeitraum problematische Verhaltensweisen in Kauf nehmen und aushalten. Dies bedeutet auch, dass Verhaltensweisen, die zu einer Aufnahme in unsere Einrichtung führen, nicht gleichzeitig zu einem Ausschluss führen. Insgesamt ist unsere alltägliche Arbeit in Abgrenzung zu einer pädagogischen Sichtweise im Sinne von Leiten und Heranführen in einem hohen Maße geprägt durch eine therapeutische Sichtweise im Sinne von Verstehen und Unterstützen. Hierbei werden wir geleitet von der Erkenntnis, dass eine stationäre Fremdunterbringung insbesondere von Jugendlichen am Ende einer langen Kette intensiver pädagogischer Bemühungen steht und uns ein mehr desselben wenig Erfolg versprechend erscheint.

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